Mehr Informationen zu Polymyalgia rheumatica (PMR)
Vor Kurzem haben wir hier von Ulla berichtet, die mit Polymyalgia rheumatica (PMR) lebt. Aufgrund der vielen Rückmeldungen kommen hier noch einige Ergänzungen:
Die PMR ist keineswegs eine seltene Erkrankung. Da sie aber eng verwandt mit der (nicht ganz so häufigen) Riesenzellarteriitis ist und zudem die Erkrankten in ihrem Umfeld meistens niemanden mit der gleichen Diagnose finden können, besprechen wir die PMR hier im Newsletter der Einfachheit halber in der Rubrik „Seltene“.
Wichtig ist, dass es bei dieser Erkrankung zu besonderen Herausforderungen kommen kann, da im höheren Alter die Wahrscheinlichkeit für Vorerkrankungen steigt. Zum Beispiel bei Osteoporose: Frauen im höheren Alter sind häufig betroffen und das zur Behandlung in erster Linie eingesetzte Kortison wirkt auf den Knochenstoffwechsel zusätzlich ungünstig ein. Das Risiko für osteoporotische Frakturen ist dadurch deutlich erhöht. Auch bei Diabetes muss bei Kortisontherapie gut aufgepasst werden, es kann zu Blutzucker- Entgleisungen kommen. Kortison wirkt sich auch auf den Augeninnendruck aus oder auf den Blutdruck, so dass bei bekannten Vorerkrankungen eine erhöhte Aufmerksamkeit unbedingt notwendig ist. Wer vorher schon mit Fettstoffwechselstörungen zu tun hatte, muss ebenfalls unter der Behandlung mit Steroiden gut auf seine Ernährung und sein Gewicht achten. Und natürlich liegen im höheren Alter auch manchmal andere Begleiterkrankungen vor, zum Beispiel Arthrosen.
Kortison ist für die Patient*innen oftmals Fluch und Segen zugleich: einerseits hilft es gut und schnell, andererseits ist es in der Langzeitbehandlung aufgrund der Nebenwirkungen und bei Menschen mit Vorerkrankungen auch sehr belastend für die Betroffenen. Nicht wenige berichten auch von neuen „Schüben“ oder Rückfällen, wenn sie versuchen, die Dosis weiter zu reduzieren, das führt zu enormer seelischer Belastung. Insgesamt sorgt dies dafür, dass die Betroffenen sich sehr lange in der Patient*innenrolle befinden und sich immer wieder mit Rückschlägen und erneut auftretenden körperlichen Symptomen und Nebenwirkungen bzw. Komplikationen auseinandersetzen müssen. Mit zunehmendem Alter und mit Vorerkrankungen ist dies eine massive Belastung. Die rasante Entwicklung in der rheumatologischen bzw. immunologischen Forschung lässt die Betroffenen deshalb darauf hoffen, dass es auch für die PMR in Zukunft neue Therapiekonzepte und Medikamente mit weniger einschneidenden Nebenwirkungen geben wird.
Weitere Probleme im Umgang mit der Diagnose bestehen unter anderem darin, dass manchmal nicht passend behandelt wird, also zum Beispiel viel zu viel oder zu wenig Kortison eingesetzt wird. Erkranken Menschen, die jünger als 50 Jahre alt sind, berichten sie oft davon, dass sie für die Ärzte nicht in das Schema passen und sich deshalb die Diagnose verzögert hatte. Natürlich ist es auch bei dieser Erkrankung schwierig, zeitnah einen Termin bei einem Facharzt zu bekommen, über die massiven Engpässe in der rheumatologischen Versorgung haben wir ja schon viel zu oft berichten müssen. Die Diagnose kann einem den Boden unter den Füßen wegziehen und wer sich professionelle psychologische Hilfe sucht, wird es auch in dieser Hinsicht nicht leicht haben, zeitnah gute Unterstützung zu finden.
Wir als Selbsthilfe versuchen, die Betroffenen durch unsere Unterstützungsangebote aufzufangen: unsere ehrenamtlichen Berater*innen sind da, wenn sie gebraucht werden (bitte verlinken), außerdem haben wir einen Gesprächskreis für Betroffene mit einer Vaskulitis und einen Online-Austausch speziell für Menschen mit PMR und/ oder Riesenzellarteriitis.
In diesen Gesprächsrunden darf über alles gesprochen werden, was im Umgang mit der Diagnose auftaucht: wie gehe ich mit der traumatischen Erfahrung um, dass ich trotz der massiven Schmerzen keinen Termin bekomme oder nicht ernst genommen werde? Wie meistere ich die große Angst vor der Riesenzellarteriitis, vor Erblindung oder schwersten Behinderungen? Wie verarbeite ich den Verlust von Gesundheit und Normalität? Was muss ich bei meinen Medikamenten beachten und wie kommen andere mit den Nebenwirkungen klar? Wie geht es anderen damit, sich so allein, hilflos und ausgeliefert zu fühlen?
Insgesamt ist der Alltag von vielen Krankheitserfahrungen dominiert. Nach dem Schock der Diagnose tauchen Fragen nach der Bedeutung von Bewegung und Ernährung auf, die Reduktion des Kortisons ist häufig ein Gesprächsthema, aber auch sozialrechtliche Fragen spielen eine Rolle: Anerkennung als Schwerbehinderung, eine passende Reha finden, Hilfsmittel oder die Frage nach Fortsetzung der Berufstätigkeit und mehr.
Meistens ist im direkten Umfeld niemand mit der gleichen Diagnose, deshalb ist es so wichtig, dass wir den Austausch und die Kontakte zu anderen Betroffenen vermitteln. Sich dadurch nicht mehr ganz so alleine fühlen, das kann heilsame Wirkung haben. Das ist nicht zu unterschätzen, gerade, wenn man immer wieder zu hören bekommt: „Du siehst ja gar nicht krank aus“.